#42 | Experimental Cocktail Club, Paris, France
Last Visit: Fall 2023
Heute sprechen wir über meinen letzten Besuch in einem der Epizentren Europas, was die bekannte Bar-Renaissance Mitte der 2000er betrifft, den Experimental Cocktail Club in Paris. Was Pegu Club, Milk & Honey oder Jeffrey Morgenthaler und seine Bar in UK und den USA waren, war der ECC für Paris und dadurch indirekt auch andere Teile zumindest des europäischen Festlandes.
Doch das Ganze soll keine ewige Geschichtsabhandlung werden, zumindest nicht innerhalb einer typischen Bar-Review, also versuche ich mich kurzzuhalten.
Wie man auch ausführlicher in dem kürzlich besprochenen Buch des ECC nachlesen kann, wurde er bereits 2007 von drei Schulfreunden gegründet und hatte alleine dadurch, dass in Paris quasi keine modernen Cocktailbars (mit Betonung auf „modern“, als auch „Cocktail“) zu dem Zeitpunkt existierten, einen großen Einfluss. Das natürlich jedoch auch zunächst in seiner Bubble, nicht jeder war sofort offen für derart neue, flüssige Experimente. Der Erfolg kam, aber bis man ein Paris wie heute wiederfindet, voll dutzender und dutzender, zeitgemäßer und interessanter Cocktailbars, sollten noch viele, viele Jahre vergehen.
In all jenen Jahren hat der ECC auch – auf der typischen Welle reitend der „Erste“ zu sein – so manch neue Location geöffnet, in Asien oder das bekannte ECC Chinatown in London und mehr. Manche schlossen, andere kamen wiederum noch relativ frisch neu dazu. Aktuell umfasst das Pariser „Imperium“ ganze 6 Bars, einige davon inzwischen in Kooperation mit Hotels. Und eine davon auch noch nicht eröffnete zum Zeitpunkt des Schreibens, ein faszinierendes, aufwendiges Projekt direkt neben dem bekannten Flatiron Building in NYC, zusammen mit Nico de Soto.
Aber kommen wir endlich zurück zum Pariser Ursprung. Sehr zentral im zweiten Arrondissement gelegen, somit leicht westlich der hauptsächlichen Bar-Bubble der Stadt, wirkt der ECC von außen wie die meisten Pariser Bars erstmal relativ unauffällig. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wie viel davon an möglichem Denkmalschutz liegt (hier wohl eher nicht), wie viel an einem gewissen Pariser Understatement oder ob ich noch was anderes übersehe. Fast immer findet man Bars, die fast wie Speakeasy wirken, es aber nicht wirklich sind. Denn man findet immer eine kleine Plakette hier oder ein Schild da, aber immer sehr dezent, selten hat man ganze Markisen oder Schriftzüge an der Wand mit Namen, wie in Deutschland oft.
Innen könnte man wiederum irgendwie mitten in New York oder London sein, Backsteinwände, alles etwas „rough“ (oder „authentisch“, wie man heute sagen würde), eine oldschool Holzbar rechts und gemütliche, große Sessel überall. Andererseits auch tolles, typisches Pariser Fachwerk aus jenen kleinen, schmalen Reihenhäuschen, das durchscheint, mit dunklen Holzsäulen und -planken. Es hat durchaus seine Gründe, dass man bei Recherche auf heutzutage faszinierend zu lesende, „historische“ Berichte von Besuchen auf Blogs von 2010 oder älter stößt, die ihrer New York Crowd empfehlen, unbedingt in Paris dort vorbeizuschauen, weil man sich wie Zuhause (in NYC Bars) fühlen wird.
Das Menü (siehe ganz unten) ist auch ein bisschen eine Zeitreise im Sinne von typisch schlicht wie damals immer. Warum aufwendig neu, wenn es doch klappt und gut in das oldschool Setting passt? Schlichtes, dickeres Papier, gefaltet, links die 10–12 Signatures alle paar Monate wechselnd, rechts zwei Bier, 2–3 Champagner, ein Verweis auf einen Allgemeinpreis für non-alcoholic Cocktails und den wechselnden Barrel Aged Drink, fertig. Kein Firlefanz, heutzutage schon fast ungewohnt. Leider auch kein Essen, das würde hier mit manch herzhaftem Barsnack eigentlich traumhaft hinpassen. Auch die Gläser beispielsweise. Klar sind auch mal aktuelle Spiegelau (z. B. die Nosinggläser) dabei, aber immer die zeitlosen, schlichten, nichts lautes oder expressives. Man merkt in vielen solchen Details, es könnte alles direkt aus einem 2010 Youtubevideo einer NYC-Bar stammen, irgendwie sympathisch.
Mehr als nur sympathisch ist auch über all die Jahre und 3–4 Besuche das Personal gewesen, sei es Bedienung oder Bartender, offen, immer zu einem Gag aufgelegt, gut beratend und für Pariser Verhältnisse mit Top-Englisch ausgestattet. Auch weil es natürlich weiterhin eine der besten Adressen für internationale Bartender, mit ein paar Jahren erster Erfahrung ist, um den nächsten Schritt zu machen. Diesmal hatte ich besonderes Glück und fand mich vor Dario wieder, ein aus Italien stammender Bartender, der bereits 3 Jahre in Maastricht gemixt, aber auch in Deutschland gewohnt hatte und mit mir, trotz zu gut 2/3 gefüllter Bar, über alles Mögliche frei von der Seele sprach.
Noch während ich das Menü durchging und mich kurz beraten ließ, fielen mir jedoch ein paar Flaschen in der obersten Regalreihe auf, die mir mehr als bekannt vorkamen. Einerseits das unverkennbare Label und die Flaschenform der NumberOne Single Casks von Karuizawa und das tolle oldschool Label der Yoichi Vintage Reihe, von der ich schon den 1988er ein Jahr zuvor hatte. Dario, recht angetan davon einen kleinen Spirit-Connoisseur und Whiskyfreund vor sich zu haben (er selbst hoffte über ECC mal Nikka in Japan besuchen zu können), informierte sich schnell über den Preis, der wiederum im Vergleich zu manch Whiskybar (auch gerade in Paris) mehr als fair war und somit waren beide fällig.
Das übrigens führte zu starkem Neid meines größten Whiskyfreundes in der Kölner Heimat, mit dem ich insbesondere diese seltenen Japaner gerne zusammen verkoste. Auf seine Bitte hin (per WhatsApp) fragte ich nett, ob man ein kleines Sample kaufen könnte zum Mitnehmen, ich hätte sogar passende Bottles dabei (wegen einer jener Pariser Whiskybars). Dies war leider nicht möglich, völlig verständlicherweise, da die Bottles natürlich ein wichtiger Anzugspunkt für Besucher sind und immer ein gewisses Risiko besteht bei Sampleabgabe. Doch auch hier wieder war ich begeistert, wie lange sich Dario in einem Gespräch mit dem Chef einsetzte für einen fellow Whiskyfan.
Beide Whiskys überzeugten auf ganzer Linie und erhielten sogar dieselben 92 Punkte von mir in meiner Whiskydatenbank. Der Karuizawa 1979 aus Fass 8187 war speziell für das Pariser La Maison du Whisky gebottled (dazu mehr im nächsten Paris-Review) und wirkte wie ein uralter Cognac in Nase wie Mund. Trockenfrüchte, Manuka-Honig, eingelegte Pflaumen, Aprikosen und Pfirsiche, Humidor, feine Zigarren, geöltes Leder – ich könnte lange weitermachen. Der jüngere Yoichi 1990 wiederum war im Vergleich etwas ungestümer, aber immer noch toll balanciert und intensiv, Bitterschokolade und Ume Pflaume, leicht alkoholisch trotz „nur“ 50 %, Sauerkirsche, Menthol, deftig, Schuhpolitur, Schwarzkirsche, Süßholz, Colanuss, sowie die bekannte leichte Rauchnote von Yoichi.
Oolongation
| Laphroaig 10yo
| Crème de Pêche de Vignes Merlet
| Oolong Kombucha
| Scrappy’s Firewater Bitters
Spannend! Wenn man erstmal Pfirsich, Tee und Islay Whisky hört, dabei noch einen der intensivsten, den man so finden kann im Trinkstärke-Bereich, würde man alles Geld darauf setzen, dass der Whisky stark dominiert am Ende. Pustekuchen! Hier spielt hauptsächlich der spannende und intensive Kombucha mit dem Pfirsich, sowie der doch ziemlich scharfen Chilinote der Scrappy’s Habanero-Tinktur. Die fermentierten Kombucha-Noten erzeugen dabei lustigerweise die Illusion, dass der Pfirsich eher eine Mango sei und der ganze Drink wirkt dann noch durch die Chilis generell exotischer, als man zunächst vermuten könnte. Zu all dem hat man dann einen eher dezenten Backbone mit etwas Malz und einem Tick erdigen Rauch. Insgesamt ein spannender Drink, der ein wenig mit den Erwartungen spielt. Aromenintensiv hat man ihn sich vorgestellt, aber am Ende ist er es weniger wegen des Laphroaigs. Käme auch toll zu einem Foodpairing.
La Maison du Glass
| Glasshouse Whisky
| Suze
| Chartreuse Jaune
| Lime
| Eggwhite
| Scrappy’s Cardamom Bitters
Eine interessante Whiskywahl, Glasshouse ist ein leichterer Blended Scotch, extra kreiert, um in frischeren Whiskycocktails wie einem Whisky Highball eingesetzt zu werden, mit einem eher tropisch-fruchtigen Aromenprofil von Ananas und Banane. So macht sein Nutzen hier durchaus Sinn, sonst liest sich der Drink ja zunächst mehr wie eine Kreation für eine Gin-Basis oder Tequila Blanco, die den Kräuternoten Platz lassen. Aber ein Whisky auf der leichteren, fruchtigen Seite kann hier natürlich ein guter Ersatz sein. Das ging auch auf, zunächst mal fast das Highlight: Eine wirklich perfekt getroffene Eiweißtextur, smooth und voluminös wie sonst was. Dahinter dann eine schöne Balance aus dem durchaus prägnanten Enzian des Suze und allgemeiner, aber durchaus komplexer Frische, vom Zitrus, aber auch leichten exotischen Noten des Glasshouse. Samtig, frisch und fruchtig, trotz Whisky und 3 kräutrigen Elementen, rundum gelungener Sour.
Der Satz klingt vielleicht inzwischen bei Bars ein wenig abgedroschen, aber das Highlight im Experimental Cocktail Club, bereits bei früheren Besuchen über fast 10 Jahre verteilt, aber insbesondere diesmal, waren die Menschen. Tatsächlich auch die Menschen vor, wie auch hinter der Theke. Die Stimmung hier war auch vom Publikum her immer fantastisch, locker, aber nie zu laut, einfach Leute, die einen guten Abend haben wollten, Spaß, gute Gespräche und genauso gute Drinks (ok, nochmal 2 € in die Sprüche-Sparbuchse). Der Service war ebenso offen und lustig, auch wenn Dario natürlich nochmal die Kirsche obendrauf war als Gastgeber. Von Diskussionen über meine Whiskywahl und mein Urteil zu jenen, zu tieferen Gesprächen über seine Barkarriere und Ziele, den Düsseldorfer Karneval (ja, wirklich), immer mit Spaß und Humor, all das in nicht mehr als anderthalb Stunden. Die Bar ist inzwischen im Verhältnis zu den neueren Vertretern wie Le Syndicat oder Danico vielleicht ein wenig klassischer angehaucht. Aber man kann im ECC auch nach soviel Historie und anderen Bars, die vielleicht aggressiver eine sehr postmoderne Interpretation von Cocktails und auch Bardesign vorantreiben, trotzdem nicht anders als einfach nur gut gelaunt sein und mit kleinem Zeitreise-Faktor jeden Besuch genießen.
/rds
Das damalige Menü (anklicken für Originalgröße):