#33 | Flisak '76, Gdansk, Poland
Last Visit: Spring 2024
Vor gar nicht so langer Zeit war Gdańsk an der Nordküste Polens der buchstäbliche Hafen für alles rund um das Thema Alkohol. Hafen für all diejenigen inländischen Kenner, die auf der Suche nach – für damalige Verhältnisse – besonderen Whiskys und Rums waren und der tatsächliche Anlaufhafen für Importeure aller möglichen Biere, Weine und Spirits in den Rest Polens und Osteuropas. Auch wegen dieser historischen Bedeutung war die Stadt lange Gastgeber der Better Bar Convention, die inzwischen in Krakau stattfindet.
Umso spannender war es, für mich, endlich außerhalb der zwei Städte, die einem sonst schnell für polnische Barkultur in den Sinn kommen, Warschau und Krakau, mal eine ganz neue Cocktailkultur zu erkunden. Eine, die gleichwohl vom Meer, wie auch von jungen Kreativen und den besuchenden Touristen inspiriert ist.
Ich habe insgesamt 7 Bars besucht, und diejenige, die ich an die Spitze setzen würde, ist unerwarteterweise auch eine der ältesten: Flisak 76.
Lange vor dem Mixology-Hype der 2000er Jahre, lange bevor Polen überhaupt Teil der EU war, zu Zeiten, als sich die Arbeiter der Danziger Werft gegen die von den Sowjets unterstützte Regierung erhoben, war Flisak bereits eine Bar. Die „76“ im Namen bezieht sich auf die Eröffnung. Natürlich war es damals keine Cocktailbar, wie man sie sich heute vorstellt. Sondern ein Treffpunkt für Künstler, Künstlerinnen und Neugierige, um Bier oder Wein zu trinken. Umso faszinierender ist es, dass sie sich im Laufe von fünf Jahrzehnten einen Platz auf der Liste der World’s 50 Discoveries verdient hat und wegweisende Cocktails in Polen kreiert.
Die Architektur der Danziger Stadthäuser im Zentrum besteht aus zwei Teilen: Einem Raum, der über eine Treppe von der Straße aus zu erreichen ist, und Kellerräumen, die sich durch kleinere Türen zwischen den Gebäuden befinden. Im Sommer gibt es auch kleine Tische im Freien, aber jeder sollte zumindest einmal die Treppe hinunter in den Keller hinabsteigen, einfach für die Atmosphäre. Die Einrichtung ist verspielt, aber nicht übertrieben, eine subtilere und authentischere Version von so etwas wie dem Bellboy in Berlin, mit Vintage-Dekor. Das märchenhafte Thema findet sich auch im Menü zum Zeitpunkt des Besuchs wieder.
Snow White:
| Gordon’s Gin
| Bols Butterscotch Liqueur
| Brown Butter
| Sour Apple
| Cream
Meine geschätzte Begleitung bestätigte, dass dies einer der besten Drinks war, die sie je getrunken hatte. Ein reichhaltiges, ausgewogenes Spiel von Süße und Säuren, die den Apfel, eine meiner persönlichen Lieblingszutaten, auf eine neue Art und Weise in Szene setzt. 4cl Gin treffen auf 1,5cl Likör, aber es ist anzunehmen, dass der Gin zusätzlich noch infusioniert ist, da es fast keine klassischen Kräuternoten mehr gibt. Hier sei auch nochmal angemerkt, wie praktisch die exakte Nennung der Alkoholmengen ist, auch wenn man zum Beispiel konkrete Rezepte zu Hause nachmixen möchte.
Wer jemals polnische Szarlotka, also Apfelkuchen, probiert hat, findet hier eine großartige flüssige Version, die mit einem kleinen kandierten Apfel an der Seite serviert wird.
Ugly Duckling:
| El Jimador Riposado Tequila
| Amaro Montenegro
| Nepalese Pepper
| Lemon
| Buckwheat Honey
Mein Lieblingsdrink in der Stadt. Für manche vielleicht schon zu süß, da er nur 4cl Tequila und 1cl Amaro enthält, gepaart mit intensivem, dunklem Honig aus Buchweizen. Der Kontrast der Aromen allerdings war wunderbar und wie man beim letzten Drink unten sehen wird, kann das Flisak auch spontan stärkere, gerührte Cocktails sehr gut umsetzen.
Der Tequila ist mit Pfeffer infusioniert, was die würzigen Noten des Amaro unterstreicht und dem Getränk das nötige Volumen verleiht. Wie ein dichter, schwarzer Tee hat der Drink Intensität, mit einem Hauch von Zitrone zur Balance.
Custom Old Fashioned
| Toki Whisky
| Sake
| Rice Syrup
| Angostura Bitters
Nachdem wir uns bereits durch fünf Drinks des Menüs probiert hatten, war der logische nächste Schritt eine individuelle Bestellung auszutesten und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich hatte nur einen Cocktail im Stil eines Old Fashioned vorgegeben und ihnen die Basis-Spirituose überlassen. Normalerweise ist ein Old Fashioned, der auf einem japanischen Whisky der mittleren oder unteren Preisklasse basiert, schwer zu machen, da es den meisten an Kraft fehlt und sie schnell zu leicht und blumig werden können (es hilft auch nicht, dass ich bei weitem nicht der größte Fan von Whiskys aus der Speyside bin).
Hier jedoch harmonierte die Lebendigkeit und Frische wunderbar mit den leicht süßen Noten des Sake und des Reissirups. Es zeigte sich auch die Qualität des Eises, das auf den Punkt verdünnt. Leider war das Eis in den meisten anderen Bars der Stadt eine große Enttäuschung.
(click to enlarge)
Zum Zeitpunkt unseres Besuchs war das von Märchen inspirierte Menü seit drei Jahren nicht mehr geändert worden. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, denn für viele Bars ist die Änderung der gesamten Cocktailkarte eine enorme Aufgabe und oft leichter gesagt als getan. Aber wir sind hier in Polen, und die Branche hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt (im Zweifelsfall empfehle ich die Artikel der anderen polnischen Bars hier auf der Seite, von denen die meisten innerhalb dieser drei Jahre oder kurz davor eröffnet wurden). Ich habe das Team gefragt, ob sie vielleicht etwas an den Drinks geändert hatten und einfach das Menü beibehalten haben, aber das haben sie verneint. Die Tatsache, dass diese Cocktails bereits zu dieser Zeit serviert wurden, ist also für polnische Barverhältnisse bemerkenswert und lobenswert. Zusätzlich zu den thematischen Signatures empfehle ich, auch andere Teile des Menüs auszuprobieren. Es werden Cocktails mit hausgemachten eingelegten Garnituren angeboten, und wenn die Saison stimmt, gibt es eine kleine Sonderkarte mit Zutaten aus dem eigenen Garten.
Dann noch ein paar Worte zu den anderen probierten Drinks, darunter das „Rotkäppchen“ und die „Schneekönigin“, wie die Märchen auf Deutsch heißen würden. Beide waren ebenso eindeutige Konzept-Drinks, das Rotkäppchen mit flüssiger Marmelade und die Schneekönigin wie ein Hustenbonbon. Nicht direkt mein Geschmack und meine Favoriten, aber stimmig, wenn man genau diese Ideen mag und erwartet. Einzig die Wahl des Marmeladenglases für ersteren ist dann doch ein bisschen zu viel Konzept, denn gut trinken lässt sich daraus nicht.
Jede Karte wird in Handarbeit als Pop-up-Buch hergestellt. Das bedeutet natürlich auch, dass sie sich leicht abnutzen und nach drei Jahren haben die unzähligen Kunden ihre Spuren auf den Seiten hinterlassen. An anderen Orten würde man den Druck einfach nachbestellen, aber da sie alle von Hand geschnitten und geklebt wurden, ließ Flisak sie meist so, wie sie waren.
Zum Zeitpunkt des Besuchs, im Frühjahr 2024, waren sie gerade dabei, ein neues Menü zu erarbeiten, was auf dem Motto Zirkus basiert und genauso persönlich und handwerklich aussieht, wenn man dem Prozess auf den sozialen Kanälen der Bar folgt.
Cheers
/jf