#40 | La Pharmacie Anglaise, Brussels, Belgium


Last Visit: Summer 2022

Lange ist es her, dass ich von meinem kleinen Brüssel-Trip berichtete. Warum ich erst jetzt darauf zurückkomme, weiß ich selbst nicht mal mehr so wirklich. Kurz darauf begann die erste, ernstere Arbeit an LT und einige weitere Trips kamen in kurzer Abfolge dazu, um die ich mich dann bevorzugt kümmerte. Eine der zwei verbliebenen Bars ist sogar grundsätzlich überarbeitet und renoviert worden unter neuen Besitzern, das sehr moderne und trotzdem cozy Ethylo damals. Somit wird jener Bericht schon aufgrund mangelnden Nutzens wegfallen.

Doch umso mehr wollte ich jetzt noch eine Bar hervorholen und empfehlen, die sich nach neusten Auskünften von Freunden auch absolut nicht verändert hat in den zwei Jahren und das wundert mich mal so gar nicht: Die La Pharmacie Anglaise oder auch The English Pharmacy.

Die Bar liegt sehr zentral, nur 2–3 Straßen entfernt vom Museumsdistrikt in einer sehr schönen Lage, an einer Kurve in einer stark ansteigenden Straße im Brüsseler Zentrum. Wundervoll offen und vom Weiten her schon einladend für den Sommer und sicherlich sehr stimmungsvoll im Herbst/Winter. Auch mit längerer Internetrecherche konnte ich beileibe nicht herausfinden, wann die Bar eigentlich eröffnet wurde. Wobei dies in diesem speziellen Fall auch wohl weniger wichtig ist, als das Jahr, in dem der Namensträger das Licht der Welt erblickte: 1898 wurde das wunderschöne Haus im Gothic Revival Stil fertiggestellt und jene (damals tatsächliche) Pharmacie, also Apotheke hier begann ihren Dienst.

Beim Betreten stellt man sich diverse Fragen: Ist das die echte, historische Einrichtung?! Großteils, natürlich später modifiziert für die Nutzung. Was zum Henker ist das für ein einzigartiger, hölzerner Kronleuchter!? Ich bin mir zu 99 % sicher, der ist alles andere als historisch und mir auch einen Tick zu kitschig, ehrlich gesagt.

Und vor allem anderen: Sitzt da ein verdammter Bär auf der Theke und ist der echt?! Ein „Ja“ zum ersten Teil, ein „Ich habe mich nicht getraut zu fragen“ zum zweiten.


Von den Eindrücken wird man selbst überwältigt, wenn man vorher online recherchiert hat. Das hat alles schon „das besondere Etwas“ und da es wirklich historisch ist (großteils), wirkt es auch nicht so billig wie manch moderner Versuch der Nachahmung. Gleichzeitig merkt man natürlich teils schon, dass hier und da meiner Meinung nach mit ein klein wenig zu viel Kitsch versucht wurde noch nachzuhelfen, aber das tut dem Ganzen keinen wirklichen Abbruch. Insbesondere die 2. Etage mit der rundum gehenden Empore liebe ich. Viel zu selten gibt es diese offenen, zwei Bereiche in Bars, z. B. dem Schumann's mit dem Les Fleurs du Mal, mit dem offenen Blick nach unten. Das gibt bei eifrigem Treiben immer eine wundervoll immersive Atmosphäre.

Unten wie oben finden sich in den Regalen Spirituosen, historische Trinkgefäße und urige Kuriositäten, bei denen man ähnlich wie dem Bären teils lieber gar nicht nachfragen möchte, was authentisch ist und was nur für die Stimmung da. Oben in einem Regal auf der Empore sind auch gut 50 Flaschen Hendrick’s Gin, die Bar hat wohl eine sehr intensive Kooperation und Verbindung mit der Marke. Auch erkennbar daran, dass sie heute wie auch damals immer einen G&T mit Orbium beispielsweise sehr deutlich als die Premium-Variante auf der Karte präsentiert.

Das Publikum ist relativ bunt gemischt, hauptsächlich aus natürlich einerseits vielen Touristen, da die Bar sicherlich in vielen Guides alleine schön für die Einrichtung steht. Andererseits aber auch durchaus viele Freunde der Cocktailszene, insbesondere als schickerer Spot für z. B. Galleristen, Agentur-Leute und sicherlich auch manch Diplomaten oder anders mit dem Politikzentrum Brüssel verbundenen Menschen. Viel Englisch, statt Französisch, hört man hier und manch Frau in wundervoll eleganten kurzen Kleidern und Männer in entsprechenden Anzügen finden sich immer wieder, wie man es in den meisten deutschen Bars eher selten sieht. Einen entsprechenden harten Dresscode gibt es nicht, gleichzeitig sollte man auch nicht unbedingt versuchen in einem Fußballtrikot oder mit langen Wandersocken in Sandalen hereinzukommen.


Der Service ist auf der klassischeren Seite, zugleich arbeitet aber auch hier großteils jüngeres Personal und eine gewisse Offenheit und Lockerheit im Vergleich zu z. B. schicken Restaurants ist alleine dadurch schon vorhanden, also keine Sorge vor besonderer Etikette.

Das Menü (unten sind auch Auszüge aus der aktuellen Ausgabe) ist recht klassisch und simpel aufgeteilt, beginnend mit den teils dezent passiv-aggressiv vermittelten Hausregeln, wie z. B. sehr große rote Schrift darüber, dass man per Tisch nur mit einer Bankkarte zahlen darf. Darauffolgend Signatures mit Namensnennung des Teammitglieds, das ihn kreiert hat. Eine interessante Wahl, die mir letztens sonst nur im Le Lion aufgefallen ist und ich irgendwie sympathisch finde. Die folgenden Überschriften sind jedoch etwas verwirrend, denn einerseits gibt es noch 2–3 „Special Editions“, die preislich schlicht etwas höher liegen (schon 19–30 €). Dann nochmal „The Curiosity“ mit 1–2 Drinks, wobei sich mir das Besondere nicht immer ganz erschließt. Es gibt einen „Cocktail Of The Week“, einen „Barrel Aged Old Fashioned“ mit stetig wechselnden Batches zum Nachfragen, eine ganze Seite „Hendrick’s Signature Serves“, eine „Louis XIII Cognac Experience“ für satte 300 € mit einer „Surprise“ (Goldbarren vielleicht …?) und final nochmal Virgin Cocktails. Jetzt aber erst in Ruhe Luftholen. Man sieht, es gibt vieles zu entdecken und es ist zugleich sehr kleinteilig, da teils nur ein einzelner Drink extra promoted wird. Irgendwie passt es aber wieder zu dem Kuriositätenkabinett-Charakter der ganzen Location.

Die Spiritauswahl ist dabei nicht in der Karte, halbwegs umfangreich für heutige Verhältnisse, aber auch nicht so voll mit alten Dingen oder Raritäten, wie man vielleicht von der Location her erwarten würde. Was aber auch nicht allzu sehr negativ auffällt, da eben sonst bereits viel geboten wird. Auch 3–4 Snacks gibt es, insbesondere das klassische Croque Monsieur hat mir sehr gefallen.

Batch Barrel Aged Old Fashioned

| Rhum Agricole Blend
| Rye
| Dubonnet
| Angostura Amaro Infused with Cassia Rind/Chinese Cinnamon
|
Cocktail Bitters Blend

Zunächst hatte ich den damals aktuellen Batch des Barrel Aged OF, der rein von den mir genannten Zutaten fast nicht hätte näher an meinen Vorlieben liegen können. Der Agricole-Blend war einerseits Clément Canne Bleu und der wundervolle St. James 15yo für etwas mehr Alter. Der Drink strotzte nur so vor spannenden, vielschichtigen trockenen Aromen, das Barrel Aging (dessen Holz mir leider nicht mehr bekannt ist), war vermutlich eher zum reinen Abrunden gedacht und das hat gut funktioniert. Keineswegs alkoholisch, sondern voller Gewürze, aber ohne je unangenehm bitter zu werden, mit Grapefruitschale, trockenen Gräsern, Nüssen, gedörrten Kirschen vom Dubonnet und einem langen Finish. Fantastisch formuliert.

Louis

| House Blend of Rum
| Cajun Spice Infused Bitter
| Amaro Borsci
| Pedro Ximenez
| Apple Wood Smoke

Auch wieder ein Drink, der rein von den Zutaten wie aus meiner Seele herausextrahiert sein könnte … Das Smoking fand hier im Übrigen wie auf dem Foto zu sehen über eine Bottle statt. Das bedeutet, die Flasche wurde massiv mit dem Apfelholz-Rauch befüllt, der stirred Drink dann hineingegeben und hin und her geschwenkt für gute 1–2 Minuten, um dann in das Glas zu kommen und nochmal mit dem übrigen Rauch von oben „bestreut“ zu werden. Da er auch sonst recht deftige und trocken-würzige Aromen aufweist, macht sich auch der Rauch sehr ungehindert breit und er ist definitiv auf der rauchigeren Seite, was solche Drinks angeht. Für meinen Co-Writer John wäre es wohl schon zu viel des Guten.

Insgesamt wirkte er auch insbesondere durch die Cajun-Infusion fast schon wie eine BBQ-Soße, aber im positiven Sinne. Vollgepackt mit Aromen, die sich durchaus noch durch den Rauch arbeiten könnten, sei es der kräutrige Amaro, der süß-rosinige Sherry oder eben der Cajun Einfluss. Auch die spezielle Note des Apfelholzes war merklich fruchtig. Zugleich, vllt. auch durch das Verfahren in der Flasche, war der Drink gefühlt nur halb-gekühlt. Aufgrund eines auch nicht kalten Glases, war er so schnell bei fast Zimmertemperatur angelangt, dass ich mir fast nicht sicher war, ob das sogar Absicht sein könnte. Geschadet hat es dem Drink aber tatsächlich nicht, da er durch die süßen Noten, die gut mit der Würze balanciert waren, auch ein wirklich guter Room Temperature Drink sein könnte.

Man sieht an den Fotos sowohl des Interieurs, als auch der Drinks: Die Pharmacie Anglaise ist ein Erlebnis in vielerlei Hinsicht. Nicht alles ist up-to-date, sei es das Kartendesign, manch kitschiges Element im Innenbereich oder auch manch Drinkpräsentation und dickwandige, massive Gläser. Trotzdem waren meine und auch die aktuellen Drinks von befreundeten Besuchern stets gut balanciert und aromenreich. Insbesondere die der klassischeren, gerührten Sorte, zu denen ich hier auch alleine aufgrund des Settings immer raten würde. Auch das Nutzen heutzutage nicht mehr so oft zu findender und unterschätzter Zutaten wie ein Dubonnet oder besondere Amaros und Sherrys sind klasse und erhaltenswert. Daher gehört die Bar auch meiner Meinung nach auf jede Bartour-Liste in der belgischen Hauptstadt.

/rds


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