#39 | Door 74, Amsterdam, Netherlands
Last Visit: Winter 2023
Amsterdam überzeugte mich bei meinem letzten Trip mit seiner durchgängigen, überdurchschnittlichen Qualität an Bars, zu sehen an unseren bisherigen Artikel zur Pulitzer's und The Tailor Bar. Kein einziges Mal war ich schlicht enttäuscht von dem gebotenen, habe gedacht "hier bin ich falsch" oder ähnliches, was bei einer 8-10 Stationen enthaltenden Bartour in quasi jeder anderen Stadt bisher passiert ist. Dafür kann sich die Stadt schonmal auf die Schulter klopfen.
Doch wie sieht es in die andere Richtung aus? Hat eine wirklich für mich herausgeragt? Nicht massiv, was natürlich auch schwierig ist, wenn man nur 2-4 Drinks bei einem einmaligen Besuch testet. Doch müsste ich mich wirklich festlegen oder verlasse ich mich rein auf mein Bauchgefühl bei dem Gedanken "Aber in welche Bar in Amsterdam würdest du am liebsten direkt nochmal?", dann ist die Antwort Door 74.
Copyright: Door 74
Der Name verrät schon ein wenig, womit man es zu tun hat, nur eine Tür mit Hausnummer? Sollte man sich wohl merken … Weil man in der Tat sonst oder in meinem Fall auch mit der Information im Hinterkopf sofort vorbeilaufen wird. Dabei stand sogar eine kleine Schlange netter Leute an, die mir auch auf Nachfrage sofort mitteilten ich wäre hier richtig und es ist kein seltsamer Amsterdamer Underground Club hinter der unauffälligen schwarzen Tür.
Doch eben jene Ansteher teilten mir bereits mit, dass ich wohl noch eine Weile mit ihnen warten müsste, die Bar ist eine der angesagtesten Adressen der Stadt, speziell später am Abend. Doch wussten sie nicht von meiner Geheimwaffe: In der zuvor besuchten Vesper Bar, kam in unterhaltsamen Gesprächen mit dem Bartender heraus, dass ein Freund von ihm - seines Zeichens in der Door 74 tätig - an jenem Tag seine letzte Schicht hatte. Als er dann hörte, ich würde gleich dort herübergehen, gab er mir ein besonderes Sample mit, einen on-the-spot gemixten Abschiedsdrink, und einen kleinen Zettel als Erklärung und mit Grüßen.
Ich klingelte also trotzdem einfach an der Tür, zur Verwirrung der anderen in der Schlange, wohl denkend ich hätte ihr Englisch nicht verstanden. Als dann geöffnet wurde und schon die "Entschuldigung" bzgl. der Wartezeit vorgetragen, zog ich die Flasche und den Zettel heraus, mit einem "But I've got a present" inkl. breitem Grinsen. Ein kurzer verwirrter Blick folgte, nach einem Satz mehr und einem Lachen später ging es dann auch schon rein. Was ein befriedigender Moment an der letzten Bar des Abends, besonders da ich wohl sonst (mit mind. 45-60 Minuten Warterei) nach dem anstrengenden Tag dieses Highlight eher hätte komplett sausen lassen. Was ein Sakrileg gewesen wäre, wie sich noch herausstellen sollte.
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Drinnen angekommen, war ich zunächst überrascht. Ich weiß nicht wieso, vllt. wegen des oft jungen und hippen Flairs Amsterdams oder der leicht abgeranzten Fassade außen, aber ich hatte mehr eine leicht alternative, vllt. minimalistische oder gar brutalistische Bar erwartet, man denke an das Le Syndicat in Paris oder das Truffle Pig in Berlin. Stattdessen wurde ich recht begeistert von der klassischen, hölzernen American Bar-Atmosphäre. Leicht verraucht, leicht rustikal, aber edel-rustikal, heritage-rustikal. Und was für Hölzer, wunderschön dunkle Decken, eine rotbraune Theke, schweres Leder und oh-mein-Gott, diese Deckenventilatoren (siehe unten) aus Holz, was ist denn hier los?!
Immer schön, wenn man in einer Bar direkt das Gefühl hat, sich ein wenig heimisch zu fühlen, auch beim ersten Besuch. Ich denke, hier war es die gesamte Kombination an Dingen: Die Erleichterung überhaupt noch hereingekommen zu sein, die sehr warme Begrüßung trotz voller Bude und das Bedanken für die Überbringung des kleinen Päckchens, aber insbesondere auch die Stimmung vor Ort. Leute hatten Spaß, andere waren in Ruhe für sich, eine angenehme Mischung, das warme, dunkle Holz und einer meiner Lieblingssongs (Fort Minor - Remember The Name) waberte aus den (hörbar guten) Boxen, was konnte da noch schiefgehen? Als Danke erhielt ich sogar einen Begrüßungsdrink, die genaue Komposition ist mir nicht bekannt. Ich tippte aber auf etwas Richtung Last Word, die Antwort war ca. "So ähnlich, aber mit Genever auch drin". Den Drink lasse ich mal außen vor, aber er zeigte mir direkt, auch spontane Cocktails werden hier sicherlich super funktionieren, herbal, malzig, aber mit der idealen Last Word-Note drin, top balanciert.
Copyright: Door 74
Beim Menü kommen wir wieder zu dem, was ich schon im Artikel der Pulitzer's Bar erwähnte: Amsterdam selbst spielt die Hauptrolle, wie in der Hälfte der 8 Bars, die ich auf meinem Trip durchstreifte. Wie auch dort bereits gesagt: Schön, wenn man so stolz und einträchtig mit seiner Stadt und Heimat umgehen möchte. Auch hier waren die einzelnen Kapitel in Meta-Themen unterteilt, Dinge, die Amsterdam ausmachen, die Ingenieurskunst, wichtige Namen der Geschichte, etc.
Allgemein war das Menü nett aufgemacht, ein wenig oldschool, wie man es kennt, mit netten Zeichnungen auf jeder Seite, inkl. den Drinkgläsern wie es heute üblich ist. Auch die recht detailreiche Aufzählung der Inhalte einzelner Drinks gefällt mir immer gut - auch inkl. Brands -, als jemand der mit seinem Wissen gerne direkt präzise einschätzen möchte, was er da bestellt. Der Umfang wusste zu überzeugen, mit um die 15 Signatures, plus natürlich diverse Möglichkeiten an Klassikern, außerdem wird alle 6 Monate komplett gewechselt. Was mir auffiel, auch wenn ich das natürlich nur schätzen kann nach meinen 3 Drinks und mit meiner Erfahrung: Fast alle Drinks der Karte wirkten als wäre auf Aromenintensität Wert gelegt worden, auch die Sours und Longdrinks hatten kräftige Elemente darin, mit nur 1-2 Ausnahmen. Während ich sonst oft bei der Hälfte der Drinks schon etwas gähne, ob der easy, fruchtigen oder leicht-floralen Aromen, die sich alle offensichtlich in einer Ecke des Spektrums tummeln. Generell auch bei den "nur" 12-15 Drinks alleine 5 kräftige, stirred Drinks im Programm zu haben, sieht man heute leider nicht mehr ganz so häufig. Auf jene habe ich mich auch fokussiert:
Peat & Pepper
| Bruichladdich Single Malt
| Empirical Ayuuk
| The Peat Monster Blended Malt
| Celery Bitters
| Cocchi Sweet Vermouth
| Shiso
Also näher an Perfektion was stirred, Manhattan-Style Signature Drinks angeht, kommt man meiner Meinung nach fast nicht mehr. Mich hat meine Liebe für den Cocktail umso mehr begeistert, da ich als Whisky-Liebhaber oft etwas kritischer bei der Nutzung konkreter Single Malts in Drinks bin. Absolut gar nicht, weil ich es als "nicht würdig" erachten würde, ganz im Gegenteil. Mit meinen Erfahrungen erwarte ich nur umso mehr, dass hier auch alle Vorzüge der Komplexität von Malts genutzt werden oder sie offensichtlich wirklich der perfekte Baustein für genau den einen Drink gewesen sind und das ist in weniger als der Hälfte der Fall, wenn ich aus Erinnerungen heraus schätzen müsste. Dazu dann noch Empirical Spirits mit dem Ayuuk, den ich von ihnen wiederum noch nie in Bars gesehen habe, aber ein super spannendes Produkt darstellt. Ich hatte angebissen, bevor ich überhaupt nachdenken konnte. Die seltene Pasilla Mixe Chili wird mazeriert in einem Destillat aus Pilsner Malz, violettem Weizen, belgischer Saison-Hefe und das ganze dann nochmal in Oloroso-Fässern gelagert, alles klar?
Aber endlich zum Ergebnis im Drink: Eine wundervoll intensive Nase mit trocken pfeffrigem Fokus, wie ich sie selten so aktiv scharf erlebt habe, dazu merkte man auch direkt Malz und feine Rauchnoten. Im Mund wundervoll malzig vom Bruichladdich, toasted oak, schwarzer Pfeffer, eher fruchtige Chilischoten und ein Hauch gedörrte Kirsche vom Cocchi, dann wieder vegetale Komplexität von den klasse dazu ausgewählten Sellerie-Bitters und der Shiso-Mazeration im Vermouth. Ein Aromenmonster, das härter klingt als er ist, nicht mal wirklich boozy dank des Wermuts, aber einfach extrem komplex und intensiv.
O.D.L.A.
| Bulleit Bourbon
| Belsazar Rosé Vermouth
| Amer Picon
| Goji Berries
Das ist beim ersten Drink etwas ausgeartet, also halten wir uns hier kurz… So easy und doch so gut, erneut ein Manhattan-Style Drink, nach dem ersten machte es ja nur Sinn die Erfolgsschiene weiter zu fahren. Die Goji-Beeren waren als Sirup enthalten und der Drink war erneut perfekt balanciert, diesmal natürlich smoother und eleganter als der P&P oben. Trotzdem - und das ist genau die Kunst hier bei Door 74 - steckte er voll intensiver Aromatik, aus dem Amer hat man alles herausgeholt, ebenso dem Wermut, beide kamen mit Kräutern und trocken-herbaler Komplexität dazu, sowie Orangenschale und einem Hauch trockener Floralität. Selten hatte ich mit schlichtem Bulleit Bourbon so einen aromatischen Drink, was sicherlich in letzter Instanz am wundervollen Goji-Sirup lag, der 40-50% des Geschmacks ausmachte und das aus gutem Grund. Smooth und lecker, ein typischer Kandidat wo man selbst überrascht ist, wenn plötzlich schon das Glas leer ist. Dazu wurde übrigens ein kleines Stück würzigen, aber cremigen Hartkäses serviert. Ein nettes, simples Pairing, das gut zu der beerigen Note passte.
Das Door 74 fiel wieder genau in die Kategorie von Bars, bei der man für kurze Zeit wirklich traurig ist, weil man sich ja entschieden hat eine ausgiebige Bartour zu machen und der geistigen und körperlichen Gesundheit wegen die intelligente Entscheidung treffen muss, nun zu gehen und sich mit den 2 (plus dem Danke-Drink) Cocktails zufriedenzugeben. Obwohl man am liebsten einen Großteil des Menüs durchprobieren würde und seine Einschätzung bestätigt sehen, dass hier eine wundervolle Art gefunden wurde, die Drinks auf ein extrem hohes Level an Aromakonzentration zu bringen. Man bedenke dabei, dass dies die 4. Bar des Abends war, also die Geschmacksnerven sogar eher bereits etwas dumpfer waren und doch war es eben hier, wo ich die aromatisch intensivsten Erlebnisse auf meiner Amsterdam-Tour hatte.
Doch waren es nicht nur die wundervollen Cocktails, die mich hier vor jene schwierige Entscheidung stellten, auch die extrem coole Stimmung, top Musikauswahl und generell das Flair der Bar und des Personals haben es zu einem rundum gelungenen Erlebnis mit einem ständig andauernden Lächeln auf den Lippen gemacht.
Ganze 4-mal war die Door 74 vor so einigen Jahren - das letzte Mal 2015 (!) - in den World's 50 vertreten, nach inzwischen vielen Besuchern in anderen Bars der international so anerkannten Liste, frage ich mich: Warum denn nicht wieder?
/rds
Teile des damaligen Menüs (anklicken für Originalgröße):