#38 | Garçon, Munich, Germany
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Ich beginne mal mit einem richtig altbackenen Klischee-Satz: Diesmal möchte ich euch eine wahre Perle deutscher Barkultur vorstellen. Warum benutzen, wenn er doch so schrecklich klingt? Weil ich konkret bei „Perle“ in Verbindung mit zeitgenössischen Bars wirklich immer direkt an das Garçon denken muss: kein laut strahlender Prunkstein, eher etwas Verstecktes, Beruhigendes statt fast schon Anstrengendes, was man aus allerlei Gründen aber mehr als wertschätzen kann und muss.
Würde man das heutzutage in Zeiten des alltäglichen Social Media so beliebte „You can only have/do one xyz for the rest of your life, what do you chose?“ auf Bars übertragen und ich dürfte nur noch, sagen wir mal, in 10 deutsche Bars gehen für den Rest meiner Zeit hier, würde das Garçon in diese Liste kommen (gleiches gilt übrigens für John). Warum das so ist? Kommen wir gleich zu, aber erst nochmal die wichtigsten Fakten ausbreiten!
Seit 2016 gibt es die Bar von Mario Messig schon, ein durchaus stattliches Alter für Bars, da muss ja was funktioniert haben. Die typische, kleine, perfekte Bargröße, vllt. um die 30 Plätze, nur 2 Straßen weiter vom Viktualienmarkt und im Sommer mit kleinem, aber stylischem Außenbereich. Kommt man rein, könnte man dank der Ruhe und Helligkeit, besonders im Sommer zu früheren Zeiten, auch mal an ein modernes, leicht hippes Café denken und das Thema Craft Coffee war hier durchaus mal größer. Dem wurde aber von Aperitifdrinks und auch Wein der Rang abgelaufen in letzter Zeit. Eine kleine, aber wirklich interessante und feine Selektion an 6 offenen und noch ein wenig mehr geschlossenen Flaschen findet man hier, inkl. Orange, Pet-Nat und auch mal Cidre. Besonders gefreut hat mich den fantastischen Pittnauer Perfect Day wiederzusehen, den ich bereits aus einer Weinbar kannte. Ein traumhafter Sommerwein mit Guave, Bergamotte und Salbei.
Laut Aussage in einem älteren Interview lag die Zurückhaltung beim Kaffeethema auch an der Lautstärke, die damit abends verbunden wäre. Aus exakt demselben Grund gibt es im Garçon auch nur gerührte Drinks, in der kleinen Bar würde intensives Shaken in der Tat eine andere Stimmung erzeugen. Umso mehr ich im Nachhinein darüber nachdenke, warum ich es immer so unfassbar erholsam und besonders dort finde, könnte dies in der Tat einer der unauffälligen, aber (ge)wichtigen Gründe sein.
Nur stirred Drinks heißt übrigens nicht, was man möglicherweise im ersten Moment im Kopf hat, die alten, kantigen, harten Klassiker. Auch Longdrinks können ja im Glas gebaut und verrührt/aufgefüllt werden. Im Gegenteil, statt sehr boozy Old Fashioneds und Manhattans ganz alter Schule, setzt die Bar schon lange bevor es das große, neue Ding wurde, auf elegante und runde Kreationen, gerne auch mal mit zumindest „lower“ ABV. Von Klassikern inspiriert sind die trotzdem meist und Old Fashioneds oder Manhattans oder Rob Roys gibt es auch oft. Das Verhältnis allerdings von Basisspirituose im Vergleich zu einem niedrigprozentigeren Partner im Drink ist eben modifiziert und selten klappt es so gut und aromatisch wie quasi immer hier. Um die 15 Drinks gibt es pro saisonaler Karte, darunter ein paar Non-Alcoholic und vom Rest je zur Hälfte wechselnde Drinks früherer Karten (das Best-of Prinzip, was ich durchaus immer mag als Idee) und natürlich ganz neue Kreationen.
Was ihr übrigens auch hier bekommt, ist eines der besten Brote mit gesalzener Fassbutter, das ich nicht nur in Bars, sondern generell jemals hatte. Unter zwei Portionen bin ich noch nie aus der Bar gekommen, bezogen wird das Sauerteigbrot bei einer unabhängigen Bäckerei in München. Aktuell finden sich bei den Barsnacks passend zum Sommer auch noch Sardinen und pikante Miesmuscheln aus Spanien, eine durchaus sehr interessante und nicht alltägliche Wahl, die eben deshalb aber wieder perfekt hierhin passt.
Überhaupt mag ich die Herangehensweise von Messig an die Bar, die Drinks, aber auch die ihm wichtigen Themen wie Nachhaltigkeit und weniger Verschwendung. In der neusten Mixology Ausgabe (4/2024) ist er in einem kurzen Interview zu finden, das mich auch daran erinnerte, mich endlich an diesen Artikel zu setzen. Von sinnvollen Drinkdekorationen bis zu dem die Bar eigentlich besonders auszeichnenden Punkt, dass nur europäische Spirituosen/Alkoholika verwendet werden. Andere Bars würden das Front & Center setzen, PR damit machen, blablabla. Messig geht es ruhiger an, macht das alles mehr für sich und das gefällt mir. Ich persönlich denke viele Themen würden heute nicht so heiß umkämpft sein, würde man mehr an die Idee der Arbeit an sich selbst appellieren. An das Nachdenken „Was möchte ich für eine Zukunft“, statt mit Zaunpfählen zu winken oder zu mahnen oder es eben als PR-Coup zu verstehen.
Die Bar selbst versprüht so natürlich auch einen ganz bestimmten Flair, vllt. auch dank seines Architekturstudiums und Verständnisses für Design und aber auch zurückhaltende Eleganz, wirkt es jedoch nie zu auffällig. Die alten Messing-Gadgets auf der Theke, die Bartools einfach in einer kleinen Holzkiste. Und natürlich die Schallplatten über der Backbar, ein großes Thema für ihn, aber auch hier wieder: Unauffällig. Keine großen Verweise im Menü dazu (außer natürlich mal Drinknamen), kein „Feature“, einfach sein Ding. Ein klein wenig Hipster oder Alternativ ist das im Verhältnis zu anderen Projekten vielleicht, aber hey, es ist die München-Version von Alternativ, also in anderen Worten für nicht-Münchner nicht mal mehr zu erkennen als solches.
Doch kommen wir zu unseren Beispieldrinks, eine kleine, aber feine Auswahl nach über 4 Besuchen meinerseits und einem von John, der den letzten beisteuert:
Betsy Ross
| Cognac
| Roter Portwein
| Curaçao
| Ahornsirup
| Muskatnuss
Einer meiner liebsten Drinks bisher in der Bar und das, obwohl er vllt. von allen noch die „klassischste“ Zutatenliste hat. Aber man spricht ja nicht umsonst von „zeitlos gut“ und Cognac + Portwein + Bitterorange und dann noch etwas Würze und Süße dazutun, was kann da noch schiefgehen? Wundervoll smooth, dunkel und doch süffig, fruchtig und würzig-süß. Trauben und rote Früchte natürlich, dazu die kandierte Orangenschale und etwas Nussigkeit, könnte ich jeden Tag genießen.
Pallas
| Südtiroler Marille
| Eau de Vie
| Weißer Wermut
| Sherry
| Verjus
| Zucker
| Cocktailbitters
Liest sich direkt sehr spannend, umso mehr, wenn man weiß, das „Eau de Vie“ darin ist ein italienischer Traubenbrand, UvaViva von Poli. In der Nase hatte er tolle Noten von Marille, Dörrobst und Sherry. Im Antritt kamen dann auch direkt wundervoll frische und klare Trauben des Poli Eau de Vie, eine junge, helle Marille und etwas Nüsse und Dörrobst vom Sherry, eine gut eingebundene, nicht zu laute, Traubensäure des Verjus im Anschluss. Die Bitters wiederum gaben im Finish den Hauch Komplexität für einen als Sommerdrink gedachten Cocktail. Begeistert insbesondere über die spannende Kombination an Zutaten, fruchtig und Sommer geht eben nicht nur über Säfte und Spritz-Varianten …
Pilot Jones
| Roséwein
| Rye Whiskey
| Brandy
| Roter Wermut
| Kräuterliqueur
Wie gefühlt in jeder einzelnen Bar in München ist Rye Whiskey ein Synonym für Stork Club hier. Das verwundert wenig, denn der passt mit seinen eher helleren und teils sogar floralen Noten natürlich schön zu Rosé! Benedictine D.O.M. wiederum steckt hinter dem Kräuterlikör und welcher Drink mit dem war denn schon schlecht? Richtig. Keiner. Oder man selbst war schuld. In dem Fall hier eine elegante, für die relativ aromatischen Zutaten aber relativ zurückhaltende Nase noch, mit Trauben und einer dezenten Kräutermischung. Im Mund dann deutlich aromatischer, Trockenfrüchte, Pfirsich und Trauben, elegante Gewürze und Kräuter, Wermutkraut und Enzian fallen mir besonders auf. Auch Fenchel, Vanille, Amarenakirschen machen sich breit. Elegant, fruchtig, herbal, seidig, ein klasse stirred Drink, aber eben nicht diese typische schon recht süße Nightcap-Art, sondern für auch den früheren Abend.
Melody Noir
| Cold Brew Coffee
| Brandy
| Roter Wermut
| Kakaolikör
| Bitterorange
Ein sanft-samtiger stirred Drink, der vor allem auf die trockenen-traubigen Aromen von Brandy und Wermut setzt. Als Fan des historischen Orangenlikörs kommt eine schöne Cointreau-Note durch. Der Kaffee in Form von Cold Brew hält sich süßlich-fruchtig, was angenehm ist. Nicht zu viel Säure, sondern wie man es von Röstungen aus Südamerika kennt, eher Kirschen im Vordergrund. Der Kakao unterstreicht das Ganze noch einmal und gibt dem Holz der Spirituosen dezente Unterstützung.
/jf
Kommen wir nochmal zum Anfang zurück, warum ist also das Garçon am Ende in jenen Bars, die ich in Deutschland nie missen wollen würde? Die Bar macht einige Dinge anders, hat ein wenig von Tokio, ein klein wenig sogar von Italien und München und sehr viel einfach von Messig selbst und diese Kombination ist sehr überzeugend und einzigartig. Wenn ich an das Garçon denke, habe ich immer sofort Lust auf München, Bars im Allgemeinen und ihre Vielfalt, sowie ihr Potenzial, die Persönlichkeit des Kopfes dahinter auszudrücken.
Sie ist insbesondere ein tolles Beispiel dafür, dass auch ohne Hightech oder viele moderne Marketingprodukte vollaromatische und nicht zu alkoholintensive Drinks gleichzeitig möglich sind. Sie wäre in jener ewigen Liste an deutschen Bars immer meine Wahl für Aperitifdrinks oder gerade im Sommer auch für den ganzen Abend alleine oder mit nur ein, zwei wirklich guten Freunden. Die, mit denen man fünf Stunden redet und kurz vor dem auf-die-Uhr-schauen denkt „Wie spät ist es eigentlich, wir sind doch erst vor einer Stunde gekommen?“.
/rds
Teile des Menüs (aus verschiedenen Saisons):