Experimental Cocktail Club


Experimental Cocktail Club: London - Paris - New York - Ibiza

Romée de Goriainoff, Pierre-Charles Cros, Olivier Bon, Xavier Padavoni / 224 Pages / October 2018


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Heute rezensieren wir ein weiteres Cocktailbuch aus einer konkreten Bar, oder besser gesagt aus mehreren. Aber alles begann mit einer von ihnen, und das ist kein Leichtgewicht, sondern eine der echten „OGs“ der Cocktail-Renaissance Mitte der 2000er Jahre und definitiv eine der wichtigsten Bars in Europa zu der Zeit. Die Rede ist vom Experimental Cocktail Club in Paris, dessen Erfolg, wie man an der Struktur des Buches unschwer erkennen kann, zur Eröffnung von mehr als einem halben Dutzend Bars in vier Städten führte.

Das Buch, oder besser gesagt die Rezepte, sind auch nach Herkunft aus jeweils diesen Bars gegliedert, was durchaus Sinn macht und alles schön sortiert. Es bedeutet aber auch, dass man keine Drinks z.B. nach Basisspirituose oder anderen Kategorien leicht finden kann (außer über den Index am Ende). Vor allem: Das Buch ist in zweierlei Hinsicht spannend, denn einige der Bars, z.B. der Ballroom und das ECC in New York, sind dauerhaft geschlossen (dafür gibt es neue in der Schweiz und in Venedig). Das bedeutet, dass es sich auch um ein kleines historisches Relikt handelt, mit Rezepten aus geschlossenen Bars. Das wiederum hat einen gewissen zusätzlichen Reiz, aber vielleicht liegt das auch nur an meinem Interesse an Geschichte.

A typical, easier recipe from the book

Den Rezepten ist ein minimales Vorwort vorangestellt, generell gibt es außer den Rezepten wenig zu den Texten zu sagen. Eine Seite Vorwort, 2 kleine Seiten über das ursprüngliche ECC in Paris, das heute noch existiert, jeweils nur eine Seite über die anderen Bars, wenn die jeweiligen Rezepte beginnen. Über das Nötigste hinaus gibt es nicht viele spannende Informationen, und im Vergleich zu anderen Werken sind sie auch etwas unpersönlich. Sie sind größtenteils im Namen des gesamten vierköpfigen Gründerteams verfasst, so dass kaum eine individuelle Persönlichkeit zu erkennen ist. Das ist nicht schlimm, aber ich hätte mir ein paar mehr interessante Anekdoten oder allgemeine Hintergrundinformationen gewünscht.

In den jeweiligen Texten wird auch grob erwähnt, was die jeweiligen (anderen) Bars vom ursprünglichen ECC Paris unterscheidet, und das merkt man tatsächlich ein wenig in den Cocktails, wenn auch nur in Einzelfällen. Der Ballroom zum Beispiel ist entspannter und hat gefühlt süßere Drinks für die Zeit vor oder nach der Party - z.B. eine Abwandlung des Cosmopolitan. Andere Bars sind etwas experimenteller oder ausgefallener, Ibiza ist natürlich viel leichter und mehr auf Strandbar-Cocktails ausgerichtet.

Was das Buch jedoch über alle Bars hinweg auszeichnet, ist der sehr ausgewogene bzw. gleichbleibende Schwierigkeitsgrad der Rezepte, den ich als eher niedrig bis in den unteren Bereich des mittleren Schwierigkeitsgrades einordnen würde. Meiner Meinung nach hat man sich hier bewusst dafür entschieden, dem Home Bartender das Leben nicht zu schwer zu machen, aber dennoch fast ausschließlich Rezepte anzubieten, die (zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung damals) für viele Hobby-Barkeeper etwas Neues zu bieten hatten. Manche davon sind eher kleine Riffs, manche gehen etwas weiter, aber immer mit einer sofort ersichtlichen Idee und Struktur, nichts Obskures. In der Regel kann man alles in einem normalen Supermarkt kaufen, selten auf dem üblichen asiatischen Markt für eine kleine Infusion und einen Sirup hier oder da. Aufwändige Zubereitungen, geschweige denn Hightech-Gadgets, werden hier nirgends erwartet. Die beiden Rezepte hier im Review sind typische Beispiele, und wir haben schon den ein oder anderen Drink auf der Seite vorgestellt, z.B. den famosen Winnie The Pooh.

Another example with easy spirits and one more specific, interesting ingredient

Zwei der drei Kapitel, die den Rezepten aus den Bars folgen, sind ebenfalls sehr ansprechend und eine schöne Idee für ein solches Buch. Das erste ist ein Kapitel namens „Freunde“, das ein gutes Dutzend Drinks von befreundeten Barkeepern aus der ganzen Welt enthält. „Unser“ Jörg Meyer aus Hamburg steht sogar schon auf der ersten Seite. Welcher Drink das ist, brauche ich für Deutsche wahrscheinlich nicht zu erwähnen, aber für einige internationale Leser: Sein Gin Basil Smash. Das Kapitel führt uns aber auch nach Barbados und Tokio, also wirklich rund um den Globus. Es folgen etwa 20-30 „Klassiker“, in denen entweder die spezifische Wahl der Marke oder die genaue Rezept-Ratio des ECC für diese großen Klassiker erklärt wird.

Und dann das zweite spannendere Kapitel, das ich erwähnt habe: Vintage-Cocktails. Das ECC hat es in einigen seiner Bars etabliert und schafft es teilweise immer noch, Spirituosenliebhaber zu verwöhnen und hat immer etwas Spannendes im Bereich Vintage zu bieten. Seltene japanische Whiskys (wie man bald in unserem Bericht über das ECC Paris sehen werden) und alte Spirits und Liköre sind auch heute noch in Paris erhältlich. In diesem Kapitel werden eine Handvoll dieser besonderen Drinks vorgestellt. Dabei handelt es sich um Klassiker oder Signature Drinks, die mit Spirituosen aus den 1950ern, 1970ern und so weiter in einigen ECC-Bars zu finden sind (zumindest noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches). Das gefällt mir sehr, ziemlich einzigartig in einem Cocktailbuch, obwohl es natürlich etwas ist, das Amateur-Barkeeper wahrscheinlich nicht aktiv umsetzen werden.

Danach folgt nur noch die (recht kurze) Sammlung von Rezepten für Infusionen und Sirups, sowie die Danksagungen und ein sehr kleines Register und das Buch ist zu Ende.


Fazit:

Experimental Cocktail Club ist eine sehr gute Wahl als 2. oder 3. Buch in der Hausbar-Bibliothek, um die schon vorhandene Rezeptsammlung zu erweitern. Man denke an Bücher wie das von PDT oder das erste Death&Co-Buch, auch wenn es quantitativ nicht ganz mit jenen mithalten kann. Als allererstes Buch sollten man es nicht unbedingt verschenken oder für sich selbst kaufen, da es praktisch keine Techniken oder grundlegenden Tipps enthält. Nichtsdestotrotz ist das Buch solide produziert, mit schönen Fotos, auch wenn es in keiner visuellen Kategorie überragend ist, sei es bei Fotos, Layout oder anderen Designaspekten. Für die 15-20 Euro, die es kostet, können aber auch fortgeschrittene Barkeeper ohne zu zögern zugreifen und sich an den neuen Rezepten erfreuen, die in diesem Fall nicht allzu kompliziert sind.

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