Sticks & Stones, Munich, Germany
Last Visit: February 2024
Wir haben bereits über viele hochwertige, preisgekrönte Cocktailbars auf LiquidThoughts gesprochen und berichtet. Eine Bar soll es diesmal auch werden, doch schenkt sie aus, was die Menschheit nun seit vermutlich bereits über 11.000 Jahren konsumiert und dem wir uns auch vermehrt hier widmen: Wein. Umso begeisterter bin ich, dass als erste Weinbar auf unserer Page die absolut einzigartige Sticks & Stones in München ihren verdienten Artikel bekommt.
Erst im Sommer letzten Jahres eröffnet, sollte man direkt erwähnen, was der USP, der Unique Selling Point, dieses Weintempels ist, natürlich abgesehen von Justin Leone selbst:
Fast 700 Weine glasweise. Glas-weise. Das habt Ihr richtig gelesen. Während ihr euch selbst in guten Restaurants, ach was, selbst in anderen sich "Weinbar" schimpfenden Orten genervt gebt, dass teils lediglich 15 Weine offen sind - keiner davon in der Flasche mehr wert als 15-20€ - gibt es hier das Fass ohne Boden. Nach eigenen Angaben hat man damit mindestens die größte Auswahl von "Wine by the glass" in Europa, vllt. sogar weltweit. Dieser Umstand ist dabei insbesondere zwei Faktoren zu verdanken. Einerseits dem erst letztes Jahr erschienenen Vinitas-System von Coravin. Wie in einer Miniatur-Füllstraße lässt sich eine Flasche unter Luftverschluss unter Argongas in 100 Milliliter große Glasampullen umfüllen, nur um die 50 Systeme weltweit gab es bei Eröffnung der Bar erst. Dies heißt auch, dass wenn ihr insbesondere einen der teureren Weine bestellt, dann einfach ein Glas mit einem schlichten, nummerierten Sample aus der Lagerbibliothek vor euch gestellt wird, damit ihr euch in beliebiger Menge einschenken könnt. Auf kurze Nachfrage wird natürlich auch die Flasche gerne hochgebracht. Der andere Faktor ist Justin selbst, denn einerseits bedeutet das natürlich einen Haufen Arbeit und Aufwand, um solch eine Bibliothek überhaupt erst zu konzeptualisieren, up-to-date zu halten, zu pflegen, etc. Andererseits auch, weil viele der Flaschen aus seiner Privatsammlung stammen und hier für die Bar zur Verfügung gestellt werden. Ich weiß nicht was von beidem beeindruckender ist.
Apropos Justin, ein paar Worte zu ihm persönlich. Schon seit der frühen Kindheit musikalisch ausgebildet (Details erfragt ihr am besten vor Ort selbst), ist er in der Szene bekannt für seine Vergleiche zwischen Wein und Musik(ern). Bücherautor, auch sonst öfter medial vor der Kamera was Wein angeht, stechen fachlich insbesondere zwei Stationen hervor, mit etwas Gastro-Allgemeinwissen. Einerseits war er vor 15 Jahren als Sommelier im legendären Alinea Restaurant, ein absolutes Kult-3-Sterne-Restaurant in Chicago, auch in Chef's Table zu sehen. Vor über 10 Jahren bereits nach München gezogen, war er dann Chef Sommelier im bekannten Tantris, der größte Name der bayerischen Hauptstadt und wiederum mit 2 Sternen gesegnet. Hier war er mitverantwortlich für den massiven Auf- und Ausbau der Weinkarte, insbesondere auch zum Thema Übersee und kaufte auch später große Teile dann quasi "zurück". Später war er auch noch kurz in der Grapes Weinbar, von der wir später auch noch berichten werden. Dann folgte die Verwirklichung des unglaublich ehrgeizigen Gedankens: Die eigene Weinbar, mit soviel besonderen Weinen wie möglich und zwar auch für Leute, die nicht direkt 500-750€ für eine ganze Bottle hinlegen möchten, sondern einfach viel spannendes probieren. Optisch könnte sie auch in Chicago sein, oder auch Tokio, modern, zeitlos, schön im Detail mit natürlichen Materialien spielend wie Holz und Stoffen, sowie kleinen Details aus Justins Leben: die Gitarre darf nicht fehlen.
Zwei Stichwörter des letzten Absatzes finden sich auch direkt wieder, wenn man die wunderschön in Leder gebundene Karte, dieses Opus, überreicht bekommt: Musik & Übersee. Einerseits finden sich von Beginn an und durch die ganze Karte hinweg immer wieder Illustrationen und erklärende Texte zu der Verbindung von Wein & Musik aus Sicht von Leone, persönlich und direkt. Generell werden ausführlich und doch nie trocken auch einzelne Rebsorten und weiteres erklärt. Alleine um alles interessiert zu lesen, würde man sicherlich eine halbe Stunde brauchen. So eine Weinkarte wird man sicherlich nicht nochmal finden. Die Auswahl hat auch tolles aus Europa zu bieten, aber der wirkliche Star der Karte und damit genau meinen Geschmack getroffen, liegt hier auf der "Neuen Welt", insbesondere USA & Australien stechen mit einer einzigartigen Auswahl hervor, bis zu 1980s Kalifornien (by the glass…) kann man sich trinken. Opus One 1986? Got you covered, Stag's Leap Insignia 1989? Yep…
Die Essenskarte fällt da kleiner aus, man wollte sich mehr auf die Delikatessen konzentrieren, die Justin selbst auch vor Ort auf seinen Weinreisen gereicht wurden von Winzern. Das heißt eine extrem hochwertige Auswahl an z.B. verschiedenem Käse, Salami, usw. Zu meinem Besuch war Sonntag außerdem Pasta-Day und man bekam zu einem Gesamtpreis von knapp 30€ eine Vorspeise, die erwähnte Salami & Käse, einen Salat aus eingelegten Tomaten und Gurken, sowie als Hauptspeise eine fantastische Pasta al tartufo. Dies ist aktuell nicht mehr der Fall, aber man wird sich sicherlich neues einfallen lassen, immer wieder gibt es kleine Aktionen und Änderungen vor Ort, demnächst sollen z.B. auch "Guest Shifts" (ähnlich dem Cocktail-Business) von Sommeliers anderer Locations stattfinden, sehr cool!
Dabei ist der Chef natürlich nicht alleine vor Ort, bei meinem Besuch war auch ein netter Franzose hinter der Theke tätig, aufgeschlossen und freundlich, sowie natürlich mit seiner Expertise insbesondere zu seinem Herkunfstland eine interessante Ergänzung in dem Umfeld. Auch Justin selbst war ein angenehmer und offener Gesprächspartner, auf alle Fragen in Ruhe antwortend, ideal beratend, mal auch spannend in Diskussion mit seinem Mitarbeiter. Am meisten gefiel mir unser Gespräch zu Weinbars im Allgemeinen und Deutschland im speziellen, insbesondere wie er, Zitat, genervt sei wie viele andere Sommeliers oder Weinbar-Inhaber sich einfach nicht die Mühe geben wollen etwas besonderes zu bieten, die Mehrarbeit dafür leisten. Dabei geht es natürlich nicht um solch eine Auswahl wie hier bei ihm, aber ich kann nur zustimmen und es erinnerte mich direkt an meine Gedanken bei manch frustrierendem Cocktailbar-Besuch: "Nur etwas mehr Mühe, etwas mehr Leidenschaft - nichtmal zwingend viel mehr Geld oder Risiko - und das könnte hier viel besser & spannender sein".
Die drei hochinteressanten Weine, die vor Ort verköstigt wurden, könnt ihr im Übrigen in einem getrennt erscheinenden kurzen Tastingbericht finden (wird hier in wenigen Tagen verlinkt). Passend zum Fokus der Bar wurden es zwei Australier und ein Amerikaner, allesamt bekannte Namen für Insider und nachhaltig arbeitende, tolle Weinkünstler: Der Quartz Chardonnay von Bindi, Les Cinq Pinot Noir von Paradigm Hill und ein weiterer Pinot Noir, aus dem Savoy Vineyard von Littorai.
Die Sticks & Stones Terroir Bar ist mit nur einem kurzen Besuch zu einem dieser magischen Orte geworden, an die man immer wieder denken muss und eigentlich wünschte, sie wären in der eigenen Heimatstadt um jede Woche vorbeizuschauen und in eine andere Welt einzutauchen. Hey, psst, Mr. Leone, Justin, Köln ist auch sehr wein-affin, da findet sich sicher eine Immobilie für ein Zweitprojekt.
Was bleibt sind diese lang in Erinnerung verweilenden Momente von Faszination für eine Location, aber meist noch mehr die Menschen dahinter und ihre Leidenschaft und damit verbundene Arbeit, die sie in ihre Projekte stecken und eben dadurch von dem "Ja, echt nett hier"-Rest unterscheiden. Wenig begeistert mehr als dieses Commitment, auch ohne riesiges Venue, fancy Gimmicks für Instagramhype oder große Essenskarte. Hier spricht der Wein, der authentische und fantastische Gastgeber und das sympathische und fachkundige Personal, also all das, was wirklich zählt für Menschen, die selbst auch echte Leidenschaft für ihre Interessen verspühren.
/rds
Nur ein Auszug aus dem USA-Teil des riesigen Menüs: