#28 | The Tailor, Amsterdam, Netherlands


Last Visit: November 2023

Die erste Station meiner Amsterdam-Bartour im November war eine mit großem Renommee und eine der bekanntesten Bars des Landes, die The Tailor Bar im Grand Hotel Krasnapolsky, mitten am „Dam“, dem zentralen Platz der Innenstadt.

Das altehrwürdige Haus liegt freilich in historischen Räumlichkeiten und wurde von einem ausgebildeten Schneider gegründet. Der in Peine bei Hannover geborene Wilhelm Krasnapolsky wanderte im Anschluss an seine Schneider-Ausbildung nach Amsterdam aus und wurde dort ein erfolgreicher Geschäftsmann. In Folge übernahm er zunächst 1866 ein Kaffeehaus an der jetzigen Location und baute es zuerst zu einem Restaurant, später zum Hotel aus. Das kann somit fast 160 Jahre Geschichte aufweisen und auch über 110 Jahre nach Tod des Gründers trägt es noch seinen Namen. Da bleibt nichts anderes zu sagen, als „Schön, dass es sowas noch gibt“.


Die Geschichte habe ich nicht nur aufgeführt, weil sie einem dieses warme, traditionalistische Gefühl gibt, sondern vielleicht ist manch einem beim Lesen ja schon das fett geschriebene „Schneider“ aus dem Lebenslauf des Gründers aufgefallen. The Tailor Bar. Schneider. You got it, right? Natürlich ist die Bar also zu seinem Ehren benannt und sogar auch konzipiert worden. Denn wie ich erfuhr, waren sogar alle bisherigen Menüs dem Schneider-Thema unterworfen: Menüs aufgeteilt nach Stoffen, nach Bekleidungsstücken, etc. Als jemand mit fast 15 Jahren Erfahrung in der Modebranche und durchaus Interesse an auch klassischer Männermode, fand' ich es insofern tatsächlich echt schade, nicht auch eines dieser Menükonzepte mitbekommen zu haben. Doch nicht nur das, auch Details überall in dem für Hotelbars typisch sehr großen Lounge-artigen Raum sind auf das Thema zurückzuführen. Männertorsos für die Sakkos des Schneiders stehen an der Wand, gerahmte Bilder mit Schneiderutensilien oder Stoffen an den Wänden, doch mein absolutes Highlight ist einer der coolsten Barcounter, die ich kenne: Die messingfarbene Kante der Theke im Stil eines Maßbands, fantastisch (siehe Fotos unten).

Meine Enttäuschung über die nicht mehr testbaren Schneider-Menüs verflog jedoch schnell, als ich merkte, dass sie stattdessen – um verständlicherweise mal aus dem Rahmen zu brechen und sich etwas kreativ austoben zu können – ein anderes Menüthema gewählt haben, das quasi wie für mich gemacht war: Mythologie bzw. mythische Kreaturen.


Genauer ist es sogar kategorisiert nach den Lebensräumen dieser Kreaturen, ob das Meer, der Himmel, Wald oder der Sumpf. Letzteres sticht in der Aufzählung ein wenig heraus als nicht wirklich klassisches "Element". Es steht auch für die etwas besonderen Drinks, die mit Kontrasten und ungewöhnlichen Aromen spielen, leicht erdig, aber auch etwas Säuerliches dabei und, wie unten zu lesen, Heimat meines ersten Drinks.

Funfact: Selbst die Bilder im Menü sind von einem Barteam-Mitglied gemacht und nicht wie oft von einem befreundeten Künstler. Wie in 5-Sterne-Hotels üblich ist die Karte abseits der Signature Drinks auch groß, die Spirit-Auswahl für die Klasse durchaus herzeigbar, sowie fantastisches Essen auch an der Theke bestellbar, siehe meine Trüffel Fries oben. Auch kommt natürlich ein kaltes Glas Wasser, Nüsse und sogar ein Tellerchen mit Madeleines/kleinen Küchlein umsonst dazu. Der Service war extrem freundlich und für ein Hotel in dem Bereich sehr angenehm offen, locker und auch mal zu Späßen aufgelegt und doch höflich-elegant in seiner Ausführung, da wurde top ausgebildet.

Man merkt der ganzen Bar, allem voran jedoch dem Menü und der Präsentation der Drinks dabei an, dass hier letztes Jahr versucht wurde in die World's 50 zu gelangen. Dies war auch der Fall, leider kam der Versuch ein wenig in's Stocken und einzelne Teammitglieder verließen die Bar. Insbesondere in der Welt der Restaurants mit solch hohen Ambitionen keine Seltenheit. Das Positive ist hier natürlich, dass man jenes besonders kreative Menü für dieses Ziel wie erwähnt weiterhin durchtesten kann. Auch traue ich es einem Hotel und einer Bar mit dem Renommee zu, das ganze nochmal neu anzugehen mit dem aktuellen, erfahrenen Barmanager Konstantinos Mourloukos.

Erymanthian Boar:

| Woodford Reserve Rye
| Laphroaig 10yo Single Malt
| P.X. Sherry
| Black Sesame Salami
| Hot Pot Cordial
| Peanut Butter

Wem der Drink nicht zumindest direkt eine gewisse Neugier entlockt beim auf dem Menü entdecken, dem kann ich auch nicht mehr helfen und würde eine andere Webseite empfehlen. Sicherlich nicht die smarteste Wahl als erster Drink des Abends, aber ich konnte nicht widerstehen und wissend, dass ich eh nur zu 2 Drinks komme, war er direkt fällig. Der Islay-Whisky ist mit der Erdnussbutter gefatwashed, die Salami im Rye. Zum Hot Pot Cordial erfuhr ich, dass auch asiatische Früchte verarbeitet sind.
Ein sehr spezieller Drink, der definitiv etwas für Fans extremerer, süßsaurer, asiatischer Gerichte ist. Deftig, mit viel Umami, die Salami ist von den besonderen Zutaten definitiv die deutlichste. Die Erdnuss nur sehr dezent zu spüren und das Cordial führt zu einem starken hin und her zwischen Umami, süßer Salami und säuerlichen Noten. Der erdige Rauch ist dabei noch gar nicht erwähnt und eine dann ebenso aromengeladene, eingelegte Zwiebel als Garnish … Wie bereits gesagt, definitiv nichts als erster Drink und für mich auch ein wenig unbalanciert, aber durchaus ein Erlebnis, das man probieren kann und ich nicht bereut habe.

Pegasus:

| La Diablada Pisco
| The Botanist Gin
| Pumpkin
| Rosemary
| Mint
| Anise

Ein faszinierender Drink voll herbaler Ingredienzien, genauer ist der Pisco mit den Kürbiskernen mazeriert, der Gin wiederum zusätzlich noch mit Rosmarin und dann kommt er, der spezielle „Pegasus-Sirup“, der ebenfalls nochmal nach eigener Aussage diverse Kräuter und ein paar Gewürze enthält (darunter die oben genannte Minze und Anis). Obwohl also kein Filler und auch kein Zitrus, sondern nur Spirit und Süßungsquelle, ein absolut silky und gefährlich trinkbarer, ätherischer Drink. Man denkt sofort man hat im positivsten Sinne selbstgemachte und dann perfekt runtergedünnte Chartreuse im Glas, er tanzt regelrecht im Mund hin und her. Die Kerne kommen leicht holzig daher im eigentlich sehr traubenlastigen, peruanischen Pisco, alles verschwimmt mit den diversen herbalen Noten zu einem Gesamtkunstwerk eines quasi neuen, eigenen Spirits, klasse!

Eine absolut geniale Idee ist übrigens, dass man jedem einzelnen Bargast tatsächlich seine bestellten Drinks in Form von Sammelkarten als Andenken mitgibt (siehe unten), darauf sind entsprechende „Angriffe“ aus den Spielsystemen als Zutaten. Darauf muss man erstmal kommen und sich den Aufwand machen. Wie man auch mitteilte, kommt so natürlich eben jene Sammellust auf, alle Drinks zu testen und somit alle Karten zu bekommen. Außerdem hat man ein sehr persönliches und an die Bar gebundenes Erinnerungsstück und gleichzeitig noch eine grobe Idee des Drink-Aufbaus („grob“, weil die genauen Herstellungsanleitungen für die Mazerationen/Washings/etc. werden natürlich nicht ausführlich aufgeführt). Chapeau!

Mein Besuch im The Tailor war eine große Bereicherung für meinen Bartrip in der niederländischen Hauptstadt. Top Essen, ein sehr kreatives und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (Mai 2024) weiterhin verfügbares Menü, sowie absolut vorzüglicher Service und Freundlichkeit führen mich zu einer klaren Empfehlung für jeden Amsterdam-Besuch. Wer hier nicht vorbeischaut, hat definitiv einen wichtigen Grundpfeiler der Barkultur in der Stadt verpasst. Eine typische Bartour-Station, wo ich mich gerne weiter durch die spannende Karte probiert hätte, wenn nicht soviel auf der Liste stände.

/rds


Das Abschiedsgeschenk und Teile des Menüs:

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