#53 | El Koktel, Warsaw, Poland


Last Visit: Fall 2024

Während sich die Barszene in Polens Hauptstadt rasant verändert, behaupten sich die „alte Garde“ und die Pioniere der Mixology im restlichen Land. Viele der neu eröffneten Clubs und Restaurants konzentrieren sich heutzutage in erster Linie auf „Premium“-Drinks und Bottle-Service. Ich hatte gehofft, dass Orte wie El Koktel und The Roots in Warschau dem mit mehr klassischem Handwerk und ein Besinnen auf bekannte Stärken begegnen würden.

Copyright: El Koktel

Ich war schon vor vielen Jahren in beiden Bars, als diese noch zu den einzigen seriösen der Stadt gehörten. Während einer kürzlichen Reise, bei der ich einen aktuellen Eindruck gewinnen und einen längst überfälligen Artikel schreiben wollte, besuchte ich dann nochmal das El Koktel. Der letzte Standort, an den ich mich erinnere, war eine kleine Kellerbar. An ihrer jetzigen Location hinter einer Ladenfront im Zentrum Warschaus haben sie sich den gleichen Charme und eine leichte Skurrilität bewahrt. Das erinnert ein wenig an die ersten modernen britischen Bars in den 2000er Jahren und ein bisschen an (neo-)klassisches Speakeasy, was sich auch in der Wahl des Logos und der Schriftart widerspiegelt.

Zwischen meinem ersten Besuch vor langer Zeit (damals gab es u. a. einen kreativen Sake-Martini) und dem letzten habe ich zweimal Signature Cocktails probiert, die das El Koktel-Team für Wettbewerbe oder Gastschichten anderenorts kreiert hat (darunter ein rauchiger Last Word Twist). Beide Male war ich beeindruckt von dem hohen handwerklichen Niveau und der Erfahrung, die die Barkeeper an den Tresen bringen.

Schon bei der Lektüre des vielfältigen Menüs allerdings entsteht der Eindruck einer Bar, die alles machen und können will. Hierin liegt aber auch die größte Schwäche und der Grund, warum El Koktel im Vergleich zu Bars in anderen Städten Polens, oder auch der Welt, heutzutage doch etwas zurückfällt.

Red Carpet

| Chopin Rye Vodka
| Campari
| Ice Cider
| Palomino Fino Sherry
| Lemon
| Parsley

Der Drink empfängt einen mit einer süßen Zitrusnote, aber da es sich um einen Negroni handelt (so zumindest die Beschreibung des Barkeepers, als er ihn servierte), funktioniert er nicht wirklich über den Duft. Zumindest nicht über reine, frische Zitrone wie ein Sour, da im Negroni viele der Noten erst im Zusammenspiel der bitteren Zutaten entfaltet werden. Es ist ein spannender, zitrusartiger und blumiger Twist mit Anklängen an die häufigen Negroni-Riffs mit zitruslastigen Gins wie Malfi Gin zum Beispiel. Der Sherry und der Cider erscheinen im hinteren Teil und mit der Zeit bei leichter Verwässerung immer mehr und hinterlassen eine Hustenbonbon-Note, die man mögen muss. Die Petersilie kommt intensiv zum Vorschein, was dem Cocktail eine fast schon zu kulinarische Note verleiht und ihn insgesamt etwas komplizierter macht als nötig. Dabei ist der Eis-Cider eine absolut spannende Spirituosen-Kategorie, in der Polen mit fantastischer Obst-Kultur Weltklasse sein kann. Hier allerdings geht diese Kunst etwas unter.

BDSM

| Benriach 10
| Nutmeg
| Artichoke
| Vanilla
| Cucielo Red Vermouth
| Amaro

Die Nase ist voll von Muskatnuss, Weihnachten im Glas, Tiefe, die mehr verspricht, und einem Hauch von Holzrauch. Irgendwo zwischen einem Old Fashioned und einem Manhattan, beginnt er sehr trocken, aber es fehlt die Tiefe eines großartigen, auf den Punkt gebrachten Old Fashioned und/oder Manhattan. Insbesondere eines jenen, der eigentlich um einen mehr als anständigen Scotch – wie in diesem Fall Benriach – herumgebaut werden könnte. Viele winterliche Gewürze mit einem kurzen Abgang, bei dem man sich auch fragt, wo die Artischocke, die Vanille und der Amaro vorkommen sollen, da all diese Aromen im ersten Geschmackseindruck zu sehr miteinander verschmelzen.

Das Barteam, das ich bei vielen Gelegenheiten außerhalb der eigenen Bar gesehen und kennengelernt habe, nimmt sein Handwerk sehr ernst. Aber die Bar hat ihre eigene, lockere Atmosphäre. Es ist nicht der Ort, an dem der Service beeindrucken wird, sondern an dem der Schwerpunkt auf dem Wohlfühlfaktor liegt. Es muss gesagt werden, dass das El Koktel mittlerweile so etwas wie eine Institution ist, ein Zwischenstopp dort ist fast obligatorisch auf jeder Gastschicht-Tour durch das Land, alleine aufgrund des erarbeiteten Namens und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen leiten regelmäßig Workshops auf jedem Bar-Kongress.

Als solches hat es seinen Platz, und es hat ihn an einem perfekten Ort gefunden, wenn man mich fragt. Aber ich würde nicht erwarten, dass jener Name für faszinierende, zeitgemäße Drinks steht. Vielmehr ist El Koktel das solide Fundament, auf dem so viel von dem, was jetzt das führende Level der Bars an anderen Orten Polens ist, aufgebaut wurde.

/jf


Teile des Menüs bei unserem Besuch (für Originalgröße anklicken):

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