#44 | Lovis Bar, Berlin, Germany


Last Visit: May 2024

Das Thema „Gastrobar“ oder noch allgemeiner „Gastrokonzept“ im Sinne von einer gleichwertigen Kombination eines Restaurants und einer Bar wird bekanntlich immer größer und das auf viele Arten. Dabei ist es im allgemeinen Sinne ja gar nicht so neu, in den USA wird seit Jahrzehnten in ganz normalen Restaurants, insbesondere z. B. auch Steakhäusern manch solider Cocktail serviert und seit der Bar Renaissance durchaus auch oft auf „Craft“-Niveau, mit allerlei Mazerationen und Spielereien wie in jeder „reinen“ Cocktail Bar. In Europa gibt es das bis heute seltener und die Kombination tritt dann häufiger zusammen mit modernerer, meist auch hochpreisiger und progressiver Küche in Erscheinung, sei es London, Paris oder auch Berlin.

In letzterer haben wir alleine auf unserem kürzlichen Trip gleich 4 solche Bars besucht, bereits ein Zeichen, was für ein großer Trend dies in der deutschen Hauptstadt ist. Übrigens nicht, weil wir gezielt nach diesen ach so hippen Konzepten suchen, sondern weil wir eben nach den spannendsten Empfehlungen fragten und recherchierten, die wir nicht schon x-fach abgedeckt hatten. Die genannten waren das lockere, sehr offen und modern gestaltete Kink, das inzwischen bereits wieder geschlossene Birdsnest von Legende Arnd H. Heissen, das Bonvivant, an das ich noch tolle Erinnerungen von vor 3–4 Jahren hatte und zuletzt, als Abschluss unserer Tour, das Lovis. Auf jenes war ich in der Tat auch einerseits dank des tollen Internetauftritts und andererseits aufgrund 2-facher Empfehlungen unter Freunden, denen ich sehr vertraue (darunter LT-Autor Martin Cordes), am meisten gespannt und hatte zugleich die höchsten Erwartungen.

Am liebsten würde ich dementsprechend, wie es bei zwei der anderen genannten der Fall sein wird, auch hier ein Review posten, das Essen inkludiert. Leider liegt das Lovis jedoch im gemütlichen, schön grünen Charlottenburg und damit deutlich westlicher von den anderen Bar-Bubbles in Berlin. Aufgrund dessen wurde es im straffen Plan ganz an das Ende verschoben und „Ende“ meint hier, ich bin direkt von dort zur Bahn gehetzt und musste ein zuvor bestelltes Sandwich ignorieren. Abgesehen davon ist im Übrigen das Restaurant mit den aufwendigeren Gerichten räumlich von der Bar getrennt, in der es nur einige Snacks/Vorspeisen aus dem Restaurant gibt. Aber hey, ich war trotzdem mehr als glücklich, also gehen wir mal genau durch warum.

Einen der Hauptgründe habt ihr nun bereits mehrfach belegt bekommen, dank den Fotos: Das Design, die Ästhetik, die Einzigartigkeit darin! Immer wieder denke ich für kurze Momente in manchen Locations, mir sagt einfach generell modernes, cleanes Design insbesondere in Städten wie Berlin nicht sonderlich zu. Bis man wieder merkt: Nein, es ist nur die unfassbar schlimme Austauschbarkeit von so vielen Hipster-Cafés und Concept-Stores, die diesen gewissen – ich benenne ihn mal nicht – Reiz im Rachen auslösen. Aber hier stimmt alles, vom kupfernen Schild, zum Gang durch den leicht begrünten Innenhof zu den Souterrain-Gewölben der Bar selbst.

Dabei ist das Architekturprojekt des gesamten Gebäudekomplexes eine spannende Geschichte. So wurden unter anderem ein ehemaliges Gericht und Frauengefängnis komplett renoviert und umgebaut, sowie ein neues Gebäude dem Ensemble hinzugefügt. Am Haupteingang der Anlage findet man den Amtsalon, wo Kultur-, Kunst- und Veranstaltungsräume zu finden sind, Design wird hier großgeschrieben, moderne weiße Flächen, ähnlich wie in der Lovis Bar sind hier zu finden. Am Osteingang ist wiederum das Wilmina Hotel, dessen Zimmer unter anderem in den (natürlich weiträumig aufgebrochenen und dadurch vergrößerten) Zellen des ehemaligen Gefängnisses liegen. Durch besagten grünen Innenhof kommt man dann den alten, roten Backsteingebäuden entgegen, mit dem Lovis Restaurant und der Lovis Bar, die räumlich getrennt sind. Das Restaurant begeistert mit großen, voluminösen Bereichen, einer Art großem Esssaal mit extrem hohen Decken, der mit Holz, modernen Designelementen und dem roten Backstein spielt.

Die Lovis Bar wiederum ist innen sehr clean, aber eben mit Persönlichkeit, die graue Textur und Stoff der Sitzgelegenheiten, das Line-Artwork, das sich durch die gesamte Bar zieht, die braunen Apothekerflaschen und die singuläre Lichtquelle an dem Wandstück hinter der Theke, an dem die Bar selbst liegt, klasse. Das absolute Highlight, gefühlt generell des Berlin-Trips nicht zu vergessen: Die Bubble-Lampen. Mir kommt direkt das „Shut up and take my money“-Meme in den Sinn, aber andererseits nehme ich dann doch lieber 10 Tage Tokyo inkl. Bartour, statt zu zahlen, was wahrscheinlich nur ein paar der Lampeninstallationen für privat kosten würden …

Das Menü zieht die minimalistische, aber trotzdem interessante Designlinie weiter durch. Ist man primär für die Bar da, gibt es eine mittelgroße Auswahl Barsnacks, neben den üblicheren Verdächtigen fallen besonders ein „Croque Mademoiselle“ (jenes, auf das ich in Eile noch verzweifelt hoffte) auf, mit gegrilltem Sauerteigbrot, Rahmkäse und Kimchi, sowie edle Jahrgangssardinen. Insbesondere die Cocktailseite (siehe ganz unten) fällt auch in die Designsprache. Mit einer einfachen Tabelle, auf welcher quasi in gedachter X-Achse Leicht-Kräftig und auf der Y-Achse Trocken-Süß verteilt sind und dementsprechend die Drinks jeweils recht einfach einzuordnen sind für den Gast. Jene Cocktails sind übrigens ganz schlicht durchnummeriert und mit immer drei heruntergebrochenen Aromen beschrieben, statt konkreten Inhaltsangaben, die auf Nachfrage jedoch natürlich gerne genauer erläutert werden.

Apropos „Nachfrage“, der Service war für mich elegant und zurückhaltend, aber auch freundlich und eben offen und zugänglich in den Erläuterungen. Zugegeben hatte ich auch Glück, da ich exakt 10 Sekunden nach Öffnung die Bar betreten konnte und den Barchef, Nils Lutterbach, einen Großteil der knapp über einen Stunde – die mir nur zur Verfügung stand – für mich selbst hatte.

Wie man unten sieht, werden auch die Drinks selbst eher schlicht-modern z. B. in den inzwischen allseits bekannten Gläsern von Nude serviert. Die Untersetzer waren wieder so ein Detail, das mir direkt gefiel. Als Liebhaber toller Coaster muss man in Bars – die auf Kalkulation, einfache Reinigung und leider auch Diebe achten müssen – oft seine Erwartungen hart zurückschrauben. Durch das Fortführen des Line-Artworks der Bar auf sonst schlichter, weißer Pappe, gaben sie jedoch ein nettes Wiedererkennungsmerkmal und waren für mich besser als jede 0815-Bar-Logo-Serviette/Untersetzer Kombination. Keine Sorge, das war der letzte Kommentar eines Design/Ästhetik-Fetischisten über irgendein äußerliches Detail, mehr zum Wesentlichen:

No. 25

| Walnuss
| Grüner Tee
| Zitrone

Zunächst zur spannenden Aufschlüsselung! Wir haben hier ein Walnuss-Eau de Vie, Manzanilla Sherry, einen Hauch Chartreuse, kalt gezogener Grüner Tee und ein Zitronencordial. Man sieht also, dass eben auch nicht jede Zutat, wie hier Sherry und Chartreuse, überhaupt erahnbar sind aus den 3er-Listen. Was mich bei einem stringenten Konzept wie hier und der Offenheit alles zu erläutern aber auch 0 stört. Recht mittig in der Stärke der Tabelle gelegen und am trockenen Ende, versprach ich mir einen netten Aperitif-Drink mit trotzdem nicht so alltäglichen Noten dank Nuss und Tee und den bekam ich auch. Ein leichter Sour mit angenehmen, fast Zen-artigen, trockenen Aromen. Tee und Walnuss kamen beide gut durch auf recht silky, elegante Art und als besonders positiv empfand ich, wie mit leichtem Temperaturverlauf immer mehr von dem Sherry durchschien und den Drink nochmal um ein paar komplexe Noten erweiterte.


No. 65

| Brot
| Butter
| Quitte

Hier haben wir einen meiner Top 3-Drinks der gesamten, ca. 10 Bars umfassenden Berlintour! Dahinter verbirgt sich ein Blend aus 3 Sherrys (Manzanilla, Fino und Amontillado), der mit Butter gefatwashed wird. Dazu kommt dann ein selfmade Sauerbrotsirup aus den Left Overs in der Küche des Lovis, sowie ein Quittencordial. Klingt genial, ist es auch. Eine wundervoll aromatische Nase mit intensiven, buttrigen Noten, gelber Frucht und intensiver Hefe vom Sherry und dem Brot. Im Mund dann eine Umami-Wucht, vollmundig, kandierte Quitte, oxidierte Trauben und Hefenoten wieder vom Sherry und Brotkruste. Die Kombination aus einerseits „deftig“ wirkenden Noten und einem andererseits so silky-smoothen Körper hatte ich so noch nie, eine perfekte Intensität und ein Drink, der mir noch Jahre im Kopf herumspuken wird.


Cocktail H

| Orange
| Kaffee
| Chai-Gewürze

In recht kulinarisch orientierten Bars finde ich nicht-alkoholische Drinks immer besonders interessant als weiteres Testsubjekt, daher wurde noch einer der 4 non-alcoholic Signatures genommen (die wiederum mit Buchstaben gekennzeichnet sind). Hier haben wir einen alkoholfreien Orangenlikör, dazu extra concentrated Chai, der Kaffee ist interessanterweise enthalten, indem der ebenso genutzte Runny Honey statt mit Wasser eben mit Kaffee gestreckt wird. Ergebnis war eine sehr schöne Nase dank der darüber geriebenen Chai-Spices, sowie ein recht frischer Auftakt im Mund. Das Chai dominiert für mich doch recht deutlich über den Kaffee, der eher ein dezenter Akzent im Finish war, was dem Drink aber keineswegs schadet. Ein sehr schöner, smoother und doch interessanter nicht-alkoholischer Chai-Drink, mit netten Orangennoten zum Auffrischen. Sowas würde ich gerne in High End-Cafés mal sehen.

Das Lovis hat schlicht alle meine Erwartungen erfüllt. That’s it, that’s the conclusion. Nein, wirklich, viel mehr kann man gar nicht sagen. Bereits von der Internetpräsenz wusste ich um das Verständnis für Ästhetik und vor Ort hat es mich exakt so immersiv hereingezogen wie erhofft. Über die Küche hörte ich bereits von Freunden, dass, wäre mehr PR in die Richtung da, man eigentlich einen Michelin-Stern erwarten sollte und die Drinks haben mich dementsprechend dazu passend ebenfalls kulinarisch begeistert. Insbesondere der No. 65 war ein Highlight unseres Trips, da gerade Restaurant-Bars oft auf der aromatisch zwar spannenden, aber overall eben sehr leichten Seite stehen und der hier nochmal richtig Wucht (trotz wenig Alkohols) mitbrachte. Umso mehr schade um mein Croque Mademoiselle, aber das hole ich mir auf jeden Fall beim nächsten Mal bei Nils ab und teste direkt auch das richtige Restaurant-Menü.


/rds


Der Cocktail-Teil des Menüs zu unserem Besuch (anklicken für Originalgröße):

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